Narrenutensilien und Narrenattribute

03. Nov 2024,

Clemens Fuchs, Beirat für Brauchtum und zuständig für das Narrenarchiv im Zunfthaus, beleuchtet das Thema Narrenutensilien und Narrenattribute.

Ein Exkurs

Weißnarrenhäs

Ich beginne mit dem Narrengewand oder mit dem Weißnarrenhäs. Darunter fällt auch unser Ahlandhäs. Das Weißnarrenkleid war die übliche Kleidung der einfachen Leute und aus Leinen hergestellt. Im Mittelalter war Leinen ein ungemein beliebter Stoff für Bekleidung. Die begüterten Bevölkerungsschichten trugen Unterwäsche aus Leinen, die ärmeren benutzten das relativ billige Material auch für Jacke und Hose, beides war sehr einfach geschnitten und war die Alltagskleidung. Was lag näher für die ärmere Bevölkerung als dieses Leinengewand auch an der Fasnet zu tragen, allerdings wurde es dafür aufgepeppt. Es wurde hauptsächlich bemalt oder bestickt oder Stoffteile wurden angenäht z. B. Zaddeln, dazu später mehr.Die Bemalung der Narrenhäser orientierte sich damals ganz offensichtlich am Motiven aus dem Adel und dem wohlhabenden Bürgertum. Pflanzen und Pflanzornamente die man sonst an Bauwerken oder auf wertvollen Seidenstoffen findet, waren Motive auf Narrenkleidern. Ebenso Bär und Löwe erinnerten an adlige Wappentiere. Reichtum und Prunk sollten ganz offensichtlich plastisch dargestellt werden und wurden somit persifliert.


Weiße Krägen

Weitere Requisiten die das Häs komplettierten stammten aus der Welt der Vornehmen, der Herrschaften und der Reichen. So erinnern die bei vielen Weißnarren charakteristischen großen, gestärkten und gefalteten weißen Krägen an die überdimensionalen Halskrausen, welche man seit Beginn des 17. Jahrhunderts an den europäischen Höfen trug. Ein Art Statussymbol.


Schellen und Rollen

Schellen oder „Rollen“ galten lange Zeit als Ausdruck von Würde und Stil. So waren an priesterlichen Gewändern Glöckchen angebracht und fungierten eine Zeit lang sogar als Machtsymbol des Kaisers. Seit dem 12. Jahrhundert schmückte sich der Adel mit kleinen Schellen und nur dieser war gemäß der ständischen Kleiderordnung befugt, solche zu tragen. Während des 14. und 15. Jahrhunderts avancierte die Schelle zum Moderequisit schlechthin. Ob am Gürtel, an den Rocksäumen oder den Zaddelspitzen von Kleid und Ärmel: überall klingelte und bimmelte es. Dieses Geräusch nahm derart überhand, dass mancherorts in den Kirchen das Tragen von Schellen ausdrücklich untersagt wurde. „Wo die Herren sein, da klingeln die Schellen“ lautete ein Sprichwort zur damaligen Zeit. Im 16. Jahrhundert schließlich flaute die adlige Vorliebe für Schellengetön deutlich ab. Womöglich blieb jedoch die Erinnerung daran bestehen.


Spiegel für die Mächtigen

Doch was hat diese Ansammlung an Requisiten und Abbildungen, die der Welt des Adels, der Welt der Vornehmen, der Herrschaften entstammen nun zu bedeuten? Es drängt sich die Vermutung auf, dass sich eine ganz bestimmte Botschaft mit den Dingen verbindet, sozusagen neben dem klaren Verweis auf das Leben besserer Kreise, eine zweite, hintergründige Aussage, die den Menschen früherer Jahrhunderte durchaus bewusst war. Es spricht einiges dafür, dass der Weißnarr mit Hilfe von Symbolen den Adel persiflierte, nachäffte, karikierte und letztlich geißelte und anprangerte. Was das ganze Jahr über nicht möglich war, konnte während den Fastnachtstagen ungehindert ausgelebt werden: den Mächtigen, Noblen und Begüterten einen Spiegel vorzuhalten.


Ein Symbol der Falschheit

Bei vielen Weißnarren findet man an der Larve bzw. der Larvenhaube einen oder mehrere angehängte Fuchsschwänze. Dies gab der gesamten Figur eine neue Bedeutung. Der Fuchs als mittelalterliches Symbol der „Falschheit, Heuchelei und Unaufrichtigkeit“ offenbarte sämtliche Requisiten und Abbildungen aus der Sphäre des Adels als Repräsentanten einer verderbten und unchristlichen Lebensweise. Im Mittelalter trugen beispielsweise Menschen mit deformierten Körperteilen den Fuchsschwanz als Zeichen ihrer „Unehrlichkeit“ und damit auch ihrer (angeblichen) Gottlosigkeit. Man argumentierte, dass es sich hier um Wesen außerhalb der göttlichen Schaffungskraft handeln musste, da Gott ja den Menschen „nach seinem Ebenbild geschaffen hatte“, also ohne Deformierungen oder sonstige Behinderungen. Gleichzeitig war der Fuchsschwanz „das Zeichen derjenigen, deren Worten und äußerer Erscheinung man nicht trauen sollte“. Dies alles bestärkt die These, nach welcher der Weißnarr nicht dem Adel huldigte, sondern diesen im Gegenteil anprangerte und verspottete. Die 3 Zotteln an unseren Ahlandfellen könnten auch Fuchsschwänze symbolisieren. Möglich ist, dass bei der Schaffung der Ahlandfigur und Häs etwas ähnliches oder alternatives zu den Fuchsschwänze kreiert wurde. Zumindest der Vergleich in diese Richtung ist zulässig.


Narrenhaube

Ein weiteres Hästeil ist die Narrenhaube, die bis auf das Gesicht den ganzen Kopf bedeckt, ähnelt der seit dem 14. Jahrhundert gebräuchlichen so genannten „Gugel“, die man heute als eine Art „Kapuze“ bezeichnen würde. Diese Kopfbedeckungtrugen zunächst Mönche (siehe Franziskaner)sowie das bäuerliche Volk. Versehen mit Zipfel, Zaddeln und Glöckchen avancierte sie im 15. Jahrhundert eine Zeit lang zu einem modischen Requisit der gehobenen Stände. Die „kleinen Leute“ hielten bis ins 17. Jahrhundert an der Gugel fest. Die Gugel des Narren unterschied sich von der herkömmlichen Gugel zunächst durch buntere Farben, einen besonders langen Kapuzenzipfel oder durch mehrere Zipfel. Durch sie zeigte sich der Narr als gottesferner Frevler. Bis zum 15. Jahrhundert wurde die Kopfbedeckung des Narren durch weitere Attribute ergänzt: Eselsohren, Schellen und/oder ein Hahnenkamm. Aus der Gugel hat sich dann später die Narrenkappe entwickelt.


Eselsohren

Bezugnehmend auf die exzentrische Gugel bildete sich mit den Eselsohren in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein weiteres Merkmal des Narren heraus: Von den vielen Zipfeln an der Gugel standen zwei senkrecht nach oben ab, die sich im Lauf der Zeit als Ohren mit nach außen gerichteten Ohrmuscheln herausprägten. Der Esel war in der Allegorie ein grundlegendes negatives Tier: Er stand für das Laster der Trägheit, war dumm (vgl. das heutige Schimpfwort dummer Esel) und damit unwissend, also ein Beispiel für die Häresie der Gottesleugner. Daher erhielt der Esel bei der Schöpfung nach mittelalterlicher Auffassung die langen Ohren des Teufels. In Anbetracht der Gottesferne bzw. Teufelsnähe des Narren sind also die Eselsohren des Narren nicht verwunderlich. Dass die Eselsohren als einschlägiges Narrenattribut im 15. Jahrhundert eindeutig Eingang gefunden hatten, beweisen unzählige Belege: So stellt beispielsweise Sebastian Brant im Narrenschiff einen Narren mit zurückgeschlagener Gugel dar, dem tatsächlich echte Eselsohren gewachsen sind. In der heutigen Fastnacht erscheinen teilweise voll ausgeprägte Esel bzw. Narren mit einer Eselsmaske, so z. B. der Butzesel in Villingen.


Hahnenkamm

Als eindeutige Negativbezeichnung des Narren erscheint zwischen den Eselsohren auf dem Scheitel der Gugel ein Hahnenkamm In der mittelalterlichen Tierinterpretation häufiger als positive Gestalt dargestellt, wird der Hahn hier negativ konnotiert: Die Verkörperung des Lasters der sexuellen Begierde. Der Narr als homo carnalis (Mensch des Fleisches) kann seine sexuellen Gelüste nicht kontrollieren und wird durch den Hahnenkopf oder -kamm als solcher identifiziert. Dass in seltenen, spätmittelalterlichen Darstellungen der Hahnenkamm gar durch einen erigierten Penis ersetzt wird, steht also ganz in der Tradition des Hahnes und seiner Geilheit. Karnevalsmützen symbolisieren oft einen Hahnenkamm, manche sind zusätzlich mit Federn geschmückt um die Symbolik zu verstärken. Unsere grüne Ahlandkappe hat oben rote Linien und in der Mitte einen roten Knopf. Dies ist ebenfalls ein Symbol für den Hahnenkamm.


Schellen, Glocken

Der Weißnarr trägt keine Glöckchen, wie der Adel sie einst trug, sondern mächtige Schellen, die weder zu übersehen, noch zu überhören sind. Zwei Effekte ließen sich womöglich dadurch erzielen: zum einen wurden durch die Überdimensionierung die Glöckchen des Adels und damit der Adel selbst ins Lächerliche gezogen, zum anderen verwiesen die mächtigen, dröhnenden Schellen auf Gottesferne und Narrheit. Glöckchen zierten bereits seit jeher den „Narren“, jene Figur der Bibel, welche als der Gottesleugner und damit uneinsichtige Sünder schlechthin gilt. Speziell mit Beginn des 15. Jahrhunderts entwickelte sich das ehemals adlige Kleidungsrequisit zu einem populären Symbol der Narrheit. Sebastian Brant machte in seinem 1494 erschienenen Werk „Das Narrenschiff“ die Schelle zum vorrangigsten Zeichen des Närrischen. Jahrhundertelang wurde in der katholischen Kirche am Fastnachtssonntag aus dem Ersten Korintherbrief des Apostels Paulus gelesen. Und auch hier kommt der Schelle eine negative Bedeutung zu: „Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redet und hätte die Liebe nicht, so wäre ich wie ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle".


Narrenzaddeln

Die Zatteltracht (auch Zaddeltracht) war eine im 13. Jahrhundert aufgekommene Mode, bei der die männliche Bekleidung in lange Zacken oder Streifen (so genannte Zatteln) geschnitten oder mit Zatteln besetzt war. Gegen die Mitte des 14. Jahrhunderts wurden die vorher verächtlich gemachtenZatteln, zugleich mit der Schellentracht und den Schnabelschuhen, auch von den vornehmenStänden getragen. Auch der „Volksheld“ Till Eulenspiegel (ca. 1300-1350) wird meist in dieser Tracht dargestellt. Die Zatteln beschränktensich aber nicht auf den Mantelrock, sondern wurden bei allen Obergewändern benutzt, selbst die Ärmel (oft bis zum Boden reichend), Hemdsärmel und Kopfbedeckungen waren mit Zatteln besetzt. Zu Anfang des 15. Jahrhundert erreichte diese Mode ihren Höhepunkt, um 1470 war sie dann ganz verschwunden und wurde nur noch auf Jahrmärkten von Spaßmachern und Gauklern getragen. Zaddelfarben grün rot und gelb sind die Farben der Ehrlosen, und Dirnen. Die rot/gelben oder früher grün/gelben Zacken an unserem Ahlandhäs deutet man heute auch in der Gewandordnung den Stadtbränden in Rottenburg zu. Nicht ausgeschlossen ist es jedoch, dass es sich dabei um umgekehrte Zaddeln handelt die aufgemalt wurden, weil das Anbringen oder Annähen von Zaddeln am Häs sehr aufwändig gewesen ist. In einem alten Bild mit den ersten Ahlanden ist einer davon in einem Häs mit Zaddeln zu sehen. Daher ist diese Deutung nicht von der Hand zu weisen.


Schnabelschuhe

Wie die Schellen, die Gugel, die Marotte und andere Attribute stellen die Schnabelschuhe (siehe unser Hofnarr und einige wenige Laufnarren) eine Verulkung der Geistlichkeit dar. Während Mönche oftmals - im Sinne der Askese und Demut - barfuß auftreten, schmückt sich der Narr mit teuren, pelzbesetzen oder samtigen Schuhen, die als Verzierung nach oben gebogen waren, was zusätzlich Material verbrauchte. Er macht sich daher der superbia, der Hoffart oder Eitelkeit schuldig, einer der sieben Todsünden. Die Todsünden haben einen engen Bezug zum Narren und zum Teufel; wer sich einer Todsünde schuldig macht wird nach seinem Tod mit Höllenstrafen gepeinigt. Übrigens die alte Narrenfigur des Lappenclowns in Köln trägt goldene Schuhe. Goldene Schuhe trugen auch die Päpste.


Marotte

Mit der Entwicklung der Keule zur Antithese zum Zepter des Königs entwickelte die Keule sich zur Marotte; die Spitze der Keule bekam einen ungefähr faustgroßen Kopf, den der Narr wie eine Art Puppe vor sich her trägt (vgl. frz. Marionette = Puppe). Aus verschiedenen Quellen geht hervor, dass diese Puppe das Porträt des Trägers versinnbildlicht; er trägt also sein eigenes Konterfei vor sich her. Daraus resultiert, dass der Narr auf sein eigenes Ich beschränkt ist, quasi in sich selbst verliebt ist; ihm fehlt die Nächstenliebe (lat. caritas) und insbesondere die Liebe zu Gott. Somit stellt die Marotte ein weiteres Attribut dar, das den Narrentypus mit der Losung Non est deus ( Es gibt keinen Gott ) unterstreicht.


Saubloder

Vanitas (Alles ist nichtig und eitel). Damit schließt sich auch hier wieder der Kreis zum gottverneinenden Narren, der dem Tod nahesteht und darüber hinaus darauf hinweist, dass der Mensch vergänglich ist. Die Vanitasblase hat noch in der heutigen Fastnacht Tradition, erscheinen nicht wenige Fastnachtsnarren im südwestdeutschen Raum mit einer leeren Schweinsblase („Saubloder“) in der Hand und deuten auf das Wesen aller Narrheit hin: Vanitas. Bezeichnend ist auch, dass aus der lateinischen Bedeutung für „leerer Sack“ oder „Ballon“ (follis) das französische fou (= verrückt) und das englische fool (= Narr) entstand. Vanitas = Vergänglichkeit der Schönheit, des Lebens. Im alemannischen Fasnetsbrauch wird eine Saubloder an einem Holzstecken oder Farrenschwanz (Penis eines jungen Stiers) befestigt und bei Umzügen werden damit besonders die jungen Frauen berührt (nicht geschlagen). Vor der Fastenzeit waren früher durch die verstärkten Schlachtungen Schweinsblasen reichlich vorhanden. Die Saublôder gilt als Symbol für die Fleischlichkeit, das Schlagen als symbolischer Akt der Fruchtbarmachung und die „leere Hülle“ als Sinnbild für die Vergänglichkeit alles Irdischen. Gleichzeitig ist die leere Blase ein Abbild des Narren selbst (franz. fou und engl. fool ‚Narr‘ abgeleitet von lat. follis‚ leerer Sack‘). Aus diesem Symbol für die Fruchtbarkeit und Fleischlichkeit, Aufgeblasenheit entwickelte sich Blôder als schwäbisches Schimpfwort für eine dumme, einfältige Frau. Manchmal wird damit auch ein „aufgeblasener“ Mensch bezeichnet (Große Gosch ond koi Floisch dra). Ich hoffe dass durch diese Erläuterung und Informationen unter anderem auch die enge Verknüpfung unserer Fasnet mit dem kirchlichen Kalender zum Ausdruck kommt.


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